Humoreske von C. v. Zell
in: „Rheinische Volksstimme” vom 12., 19. und 25.3.1899
Der Rittmeister a. D. Freiherr Adolf von Kunkelwitz auf Klosterfeld hatte in seinen nunmehr zurückgelegten fünfzig und etlichen Jahren eigentlich nur einen einzigen Kummer zu verzeichnen, aber dafür auch einen um so tiefergehenden!
Der Himmel hatte seine überaus glückliche Ehe mit fünf Töchtern gesegnet, den heiß ersehnten Sohn ihm aber versagt.
„Es sind zwar Prachtmädels,” sagte er selbst, „aber ein einziger Junge wäre mir doch lieber.”
„Pfui, Alter, schäme dich!” schalt die Frau. „Bist unsere Goldkinder gar nicht wert bei so gotteslästerichen Reden! Und warum machst Du denn unser Klosterfeld zu einem wahren Kloster, seit die Mädel erwachsen sind? Ich will ja nicht behaupten, daß es uns glücken würde, gleich alle fünf unter die Haube zu bringen, aber wenn man ihnen jeden Verkehr mit jungen Leuten abschneidet, dann müssen unsere Töchter natürlich alte Jungfern werden! Wem fünf Töchter beschieden sind, der hat damit zugleich die Anwartschaft auf fünf Söhne in der Tasche.”
„Schwiegersöhne!” brummte der Rittmeister zwischen den Zähnen. „Ich fahre nicht gern mit Pferden, die ich nicht schon als Füllen im Stall gehabt habe. Man weiß nie, wie man mit ihnen d'ran ist! Strangschläger, Krippensetzer, Durchgänger — 's ist alles schon dagewesen! Und dann: Jeder trägt einen besondern Namen, und an diesen Namen hängen ganze Familien als unvermeidliche Anhängsel, wie die Zapfen an den Nadelholzbäumen. Ganze Kometenschweife wohl gar! Nein, nein, da könnte ich mich niemals zurechtfinden, noch behaglich fühlen.”
„Aber, Alter, wenn Du nun fünf Söhne hättest, anstatt fünf Töchter, so wäre es doch genau dasselbe!” rief”Frau von Kunkelwitz. „Die Jungen würden heiraten und. . ..”
„Richtig!” bestätigte der Rittmeister. „Und alle ihre Frauen trügen unsern Namen.”
„Aber „Familienanhängsel” —; wie Du es nennst—; hätten sie doch auch!” warf Frau von Kunkelwitz ein, „und eine Jede auch ihren besondern...”
„. . . . Vornamen! Ja wohl,” lachte der Rittmeister, „und die wollte ich mir schon allenfalls merken. Aber die „Tannenzapfen” der Schwiegertöchter, ihre Muhmen und Tanten und Vettern und Basen, sie gingen uns ganz und gar nichts an —; und so wär' mir's recht!—; Aber wir streiten um des Kaisers Bart, Alte! Wo sind die Kinder? Laß sie antreten. Es ist Feierabend.”
Die drei ältesten, Philippine, Wilhelmine und Caroline —; selbstredend auch Pine, Mine und Line genannt —; hatten Jede ihr besonderes „Decernat” im Hausstand.
”Philippine hatte über Küche und Keller, inklusive Milchwirtschaft und Jungvieh, zu wachen —;„Minister des Innern” —; nannte sie der Vater. Wilhelmine sorgte für die Instandhaltung von Wäsche und Hausgeräten, führte auch Buch und Rechnung über Aktiva und Passiva des Haushalts —; war also bdquo;Finanzminister”, und Caroline sorgte für den Garten und für's Federvieh —; „Handel und Gewerbe!”
Die beiden „Kleinen” — Edith und Röschen —; achtzehn und neunzehn Jahre zählten sie auch bereits, huldigten den freien Künsten. Sie waren in Pensionaten ersten Ranges in Dresden und Brüssel „fertig” gemacht worden, während die drei„Inen” nur häusliche Erzieherinnen gehabt hatten. Von diesen hätten sie es gar nicht lernen können, was die Kleinen konnten: französisch und englisch sprechen, zeichnen, malen, Clavier spielen und singen. Edith malte auf Papier, Leinwand, Atlas und Porzellan in Wasser oder Oel, wie man's haben wollte; Blumen, kleine Landschaften, Stillleben —; nature morto—; wie es die Franzosen heißen —; Rüben und Strohmatten, Bibeln, Bierkrüge und Perlschnüre; die „Verherrlichung der Unordnung” sollte man es eigentlich nennen. Und Rose, das liebliche Nesthäkchen, das seinen Taufnamen so ganz und gar verdiente, sang und spielte, daß zwar strenge Kritiker den Kopf geschüttelt haben würden, Papa Kunkelwitz aber helle Thränen der Rührung vergoß, wenn sie so trällerte wie eine richtige Lerche.
Brahms, Schumann, Raff und solche Leute waren für Röschen nicht vorhanden.
”Aber:”
„Wenn's Mailüfterl weht so mild”
oder:
„Ach, wie ist's möglich dann,
Daß ich Dich lassen kann”
und dergleichen mehr sang sie bezaubernd, und Papa Kunkelwitz wurde gar nicht müde, ihr zuzuhören, und auch die Mutter und die Schwestern nicht. Gewöhnlich bildeten Röschens Liedervorträge den Schluß eines jeden Winterabends. Den Anfang machten die „Ministerialberichte”, dann folgte das gemeinsame Abendbrod und nachher wurde abwechselnd vorgelesen aus Zeitungen, Zeitschriften oder auch aus gut empfohlenen Büchern.”
Es war wirklich ein überaus gemütlicher, durch und durch einiger und friedlicher, aber fast gänzlich in sich abgeschlossener Familienkreis. Seine Einförmigkeit empfanden wohl nur — zuweilen wenigstes — Edith und Röschen, aber sie seufzten nur ganz heimlich, jedes für sich, ein wenig darüber und dachten — zuweilen nur! — an Dresden und an Brüssel und an alles Schöne, und Herrliche, was sie dort gesehen und gehört!”
Aber damals hatten sie so oft — nicht zuweilen nur! —;Sehnsucht nach dem stillen, lieben Klosterfeld, das heißt nach Eltern und Schwestern gehabt, also durften sie doch jetzt nicht undankbar sein!
Ab und an aber sollten die Kinder doch ein „Vergnügen” haben. Damit war Papa Kunkelwitz durchaus einverstanden, wenn er nur nicht mitgenießen mußte!
Heute war solch ein großer Tag — rot anzustreichen: Mitglieder des städtischen Theaters in der Provinzialhauptstadt, das kürzlich abgebrannt war, gaben —; um während des Neubaues ihres Musentempels nicht gänzlich brach zu liegen — Vorstellungen in den größern und mittlern Landstädten der Provinz, und zu einer dieser Vorstellungen hatte der Rittmeister seine drei „Minister” nebst den beiden „Kleinen” drei Meilen weit nach H.... entsendet.
Es war ein kalter Tag im Januar, aber mit Pelzdecken etc. wohl versehen und dazu fünf Personen im Wagen — beziehungsweise Schlitten — da brauchte man sich vor dem Erfrieren nicht zu fürchten. Noch dazu, da das Fuhrwerk wirklich Wagen und Schlitten zugleich war, nämlich ein alter, aber ganz behaglicher Kutschkasten, ganz fest, anstatt der Fenster mit ledernen Schutzblättern versehen, die — recht altmodisch — von außen fest zugeknöpft werden konnten und nur je ein kleines rundes, mit Glas bekleidetes Guckloch hatten. Dieser alte Kutschkasten war auf Kufen — Schlitten—unterlagen— gesetzt und heidi ging's, daß die Funken stoben.
Der Rittmeister hatte dem alten Jochen — seinem zuverlässigsten Fuhrknecht — die Expedition anvertraut und ihn drei der besten Ackerpferde aus seinem Stalle anschirren lassen.
Jochen saß im Sattel und knallte dreimal kunstgerecht mit seiner langen Peitsche über den Kopf des braunen „Vorspanns”, ehe er den Hof verließ.
„Na, nun mit Gott!” rief der Rittmeister und gab das Zeichen zur Abfahrt.„Und kommt mir pünktlich wieder. Hört Ihr?”
„Adieu! Adieu!” scholl es aus dem Kutschkasten heraus.
„Hüh!” rief Jochen und „Klinglingling” rasselten die Schellen an den Kutschgeschirren durcheinander — sie waren blitzblank geputzt und nahmen sich ganz „stattlich” aus!
Einen Augenblick nur, dann bog das Gespann vom Hof rechts von der Landstraße ab und Herr und Frau von Kunkelwitz gingen langsam in's Haus hinein, wortlos, ein Jedes mit seinen Gedanken beschäftigt.”
Man hatte noch zu sieben miteinander zu Mittag gespeist; als nun die„schwarze Stunde” kam, saßen Vater und Mutter sich allein gegenüber an dem großen Familientisch.
„Ordentlich zum Gruseln!” sagte der Rittmeister und schlug vor, das Abendbrod auf seinem Zimmer an einem kleinern, gemütlichern Tische einzunehmen.
„Daß man doch nicht bei jedem Bissen erinnert wird an das, was fehlt.”
Nach Tisch wurde vorgelesen; es schien aber nichts besonders Interessantes, denn jeden Augenblick war man mit Gedanken und Worten wo anders.
„Um halb sieben fängt es an!” sagte der Rittmeister. Natürlich meinte er die Theatervorstellung. „Um halb zehn ist's aus. —; Jochen hat Ordre, um die Zeit zum Abfahren bereit zu sein. Zwei und eine halbe Stunde, länger fahren sie nicht, also um zwölf Uhr sind sie sicher zurück. Ich denke, Alte, bis dahin halten wir's aus. Oder wilsi Du ein Nickerchen machem? ”
„Bewahre! Was meinst Du zu einer Partie Sechsundsechig”
„Du hast Recht, Altchen, das kürzt die Zeit. Wo aber sind Karten?”
„Voriges Jahr, um Weihnachten, als die Flissower mit ihren Kindern hier waren, haben wir Kartenlotterie gespielt! Aber seitdem —; ”
„Na, warte’mal, Mutter! Wollen schon sehen! Können doch nicht vom Erdboden verschwunden sein!”
Das Suchen nach den Spielkarten war recht erfreulich zeitraubend. Um 11 Uhr etwa entdeckte der Rittmeister die Vermißten. Er mischte sie mit einer gewissen Vehemen.
„Eigentlich lohnt es kaum anzufangen,” meinte er.
Frau Kunkelwitz lachte.
„Man könnte denken, du wärest ein Erzspieler, da eine Stunde Dir nicht genügt!” sagte sie.
„Wer weiß! Vielleicht kommen sie schon früher,” sagte der Rittmeister halblaut. Er hatte kaum auf die Neckerei seiner Frau gehört. „Jochen fährt gut, und wenn die Pferde den Stall wittern, gehen sie doppelt flott.”
”Wenn es nur nicht so arg schneien möchte,” warf Frau von Kunkelwirt ein.
„Was?” rief der Rittmeister. „Es schneit! Vor einer Stunde war der Himmel ja noch hell und gestirnt.
„Ja, ja! Jetzt aber sieht man die Hand vor den Augen nicht und es stiebt und windet, daß es nur so eine Art hat. Die Botenfrau kam eben ganz weiß nach Hause wie ein richiger Schneklunpen.
„Hm!” meinte der Rittmeister und that einige langathmige Züge aus einer fast „fertig” gerauchten Meerschaumpfeife, ehe er vor sich hinmurmelte: „Auf Jochern ist Verlaß! Was soll ihnen denn am Ende passieren!”
Dann nahm er die Karten wieder zur. Hand und gab. Man spielte, aber der rechte „Schneid” fehlte. Mann und Frau waren mit ihren Gedanken weit mehr draußen auf der Landstraße bei ihren Kindern, als bei den Spiel, das sie, nebenbei gesagt, gar nicht richtig zu soieten verstanden.
„Ich habe es vollständig vergessen,” rief der Rittmeister, und seine Frau setzte hinzu:
„Und ich hab's nie ordentlich gekonnt!” Und dann lachten beide und beschlossen, lieber eine Patience zu legen.
„Weißt Du, die „Chicaneuse!” Tante Lina's Hauptspiel. Dreizehn Karten quergelegt, vier der Länge nach; die Assr in der Mitte und dann . . . . Horch! war das nicht Schellengeläute! Es kommt näher. Sie sind's! . . . . Gott Lob!
Der Rittmeister sah nach der Uhr. „Zehn Minuten vor zwölf! Bravo, Jochen! Hast Deine Sache gut gemacht!”
Er setzte sein Sammetkäppchen auf den Kopf, nahm die große Flurlaterne vom Haken und leuchtete hinaus in die pechfinstere Nacht, sie, die Schultern fest mit einem bereitgehaltenen Tuch verhüllt, steckte den Kopf unter dem erhobenen Arm des Gatten langhalsig hervor und rief laut und vergnügt in die Nacht hinaus:
„Na, seid Ihr glücklich wieder da, Kinder?”
Aber es kam keine Antwort und sehen konnte man nichts. Man hörte nur, wie Jochen schwerfällig aus dem Sattel stieg und ein paar Schritte im knarrenden Schnee machte. Der Rittmeister gewahrte jetzt im Schein der Laterne zwei Schritte vor sich die breite Gestalt des alten Jochen im weißbeschneiten Kragenmantel. Er war ohne Zweifel damit beschäftigt, die Seitenschutzleder des Wagens aufzuknöpfen.
Kunkelwitz wollte ihm dazu leuchten. Er trat vor.
„Himmelsapperlot! Was ist das? Kein Kutschkasten zu sehen! Das leere Schlittengestell! Wo ist der Wagen? Wo sind die Kinder?”
Die Laterne in dr Hand des Rittmesters schwankte so bedenklich hin und her, daß Frau von Kunkelwitz erschrocken auf ihn zusprang. Sie glaubte ihren Mann von einem Schwindel befallen, aber jetzt schwindelte es iht selbsl vor den Augen, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte.
Was war geschehen? Wo waren die Kinder?
Jochen drehte sich um, machte ein unglaublich dummes Gesicht, kratzte sich den Hinterkopf und sagte:
„JO jo. dei hew ick nu woll verlor'n! Dei sakkermenrschte Kutschkasten wull gliks nich recht hollen! Nu möt hei dei Bänner durchschürt hewwen und is hinnen affrutscht.”
„Ja aber, Jochen, Menschenkind!” rief der Rittmeister, dem vor Zorn die Stimme bebte — die Frau hielt ihn mit beiden Armen fest, sonst wäre er dem alten Knecht unfehlbar zu Leibe gegangen. „Schwerenöter Du! Wo hast Du denn Deine Augen gehabt, daß Du das nicht gemerkt hast?”
„Ick harr' mu den Kragen hochtreckt, Herr,?” sagte der alte Jochen mit weinerlicher Stimme, „und wenn ick mo ümkeek, denn flogen mi dei Isspletter man so üm de Oogens rüm, dat ick sei nich upholl'n könn. Un dat güng ümmer so flott vorwarts; ick högt mi sihr doröwer, wat dei Pier utgrepen.”
„Das glaub' ich!” schrie der Rittmeister ihn an. „ Drei Gäule und ein leeres Schlittengestell! Aber Jochen, Jochen, hast Du denn gar nichts Verdächtiges gespürt, keinen Ruck, keinen.....”
„Ja ja, Herr, eenmal, doa was't mir so! Doa an'n Kritzweg, wo et nach Rinow abgeiht. Dunner, hät dat schlenkert! Doar sünd äwerst deipe Traden un ick makte mi nix dorut; dunn güngt ook glik wedder flott.”
„Na %ndash; was nützt am Ende das Parlamentieren!” sagte Kunkelwotz nit verbissenem Ingrimm. „Hin ist hiu, verioren ist verloren!”
„Um Gottes Willen, Alter,” rief Frau von Kunkelvitz, „Verloren? Unsere Kinder? Unsere Prachtmädels!”
„Ach Unsinn!” brauste der RittmUster auf. „Wenn ich „verloren” sage, so meine ich das eben nur so, daß sie, na daß sie eben verloren sind. Wiederfinden werden wir sie schon.”
„Aber wie? Wie?”
„Ein bischen verklamt wahrscheinlich! Mit rotgeweinten Augen und etwas Herzklopfen — na davon erholt man sich bald wieder.”
„Wenn nur....”
„Was?” fuhr der sonst so rücksichtsvolle Gatte abermals auf und beschwichtigte durch diese kernige Grobheit instinktiv seine eigenen Besorgnisse. „Wölfe giebt's nicht herum und Straßenräuber auch nicht! Zudem sind fünf Mädels wie die unsrigen schon im Stande, Gegenwehr zu leisten.”
„Na, Jochen, wird's bald! Oller Döskopp! Den großen Schlitten'raus aus der Remise und die beiden Rotschimmel vorgelegt. Der Kutschkasten kann bis morgen bleiben wo er ist, aber die „Fröllen” müssen wir doch herausholen und wenn es Mehlklöße schneit. Ich fahre natürlich mit.”
„Aber Adolf,” bat die Gattin. „Bei diesem Unwetter wirst Du Dich erkälten!”
„Ich fahre mit! Und damit Hollah!” entschied der Gatte; dagegen gab es kein Appelieren mehr.
Die fünf Schwestern, warm eingepackt, fuhren in sehr befriedigter Stimmung heimwärts. Sie hatten einen seltenen Hochgenuß gehabt. Einen unvergeßlichen! Anfangs teilten sie sich, mehr oder minder lebhaft, ihre Eindrücke mit, dann stärkten sie sich an den mitgenommenen Eßwaren, füllten auch aus einer Flasche Editha's silbernen Pathenbecher mit Wein und nahmen eine jede einen herzhaften Schluck. Dann aber wurden sie müde und duselten ein. Pinchen und Linchen im Fond des Wagens hatten die besten Eckplätze, Edith und Minchen ihnen gegenüber auf dem Rücksitz konnten ebenfalls einen Stützpunkt finden für ihre schwankenden Häupter.
Nur Rose war bös'’ daran, da sie als jüngste natürlich den Mittelsitz zwischen den beiden ältesten Ministern inne hatte. Sie wurde auch natürlich deshalb am meisten hin– und hergeschleudert, bald nach links, bald nach rechts, bald hinten–, bald vornüber. Alle Augenblicke gab's einen Ruck—; viel ärger als bei der Hinfahrt. Oder hatte man es bei Tage nicht so beachtet? Da hatten sie das eine Seitenleder offen gelassen, konnten um sich sehen und plaudern. Jetzt hatte Jochen den Kutschkasten fest zugeknöpft; warm genug war’s allenfalls schon, aber stockdunkel und......
Himmel, was war das? Sie fuhren ja alle mit den Köpfen aufeinander und dann hinten über...... d. h. nein! Linchen und Edith vornüber, den drei andern Schwestern auf den Leib, dann aber wieder zurück auf ihre Plätze. Ruck! Ruck!
War das ein Schreck! Aber Keine hatte sich weh gethan. Gott sei Dank! Nur....„Spürt Ihr's denn, daß wir uns noch fortbewegen? Ich nicht!”
„Ich auch nicht!” — „Noch ich!”
„Und hört Ihr noch die Schellen?””
Vor einem Weilchen noch, jetzt nicht mehr!.... Seid einmal alle mäuschenstill.”
„Wahrhaftig!” rief Rose, „wir sind abigerutscht mdash; wie die Schweizer sagen, wenn einer in den Abgrund gestürzt ist; zum Glück aber ganz sanft, nicht einmal ganz umgekippt! Ist das ein Wunder!”
„Eine schöne Geschichte ist's!” sagte Philippine. „Was machen wir nun?”
„Wir warten, bis man uns abholt,” entschied Wilhelmine. „Jochen wird's schon merken, daß ihm sein Kutschkasten abhanden ist, und dann wird er umkehren.”
„Und dann?” fragte der Minister für Handel und Gewerbe. „Ich glaube nicht, daß seine und unsere vereinigten Kräfte ausreichen würden, den schweren Kasten wieder auf den Schlitten zu heben, und womit will er ihn überhaupt befestigen? Dazu gehören Stricke und wieder Stricke, und die hat er schwerlich.”
„Na, dann hilft also wirklich nichts, als Geduld haben,” sagte Wilhelmine.”
„Wißt Ihr was?” rief Rose lustig. „Wir wollen einen Canon anstimmen! Das vertreibt die Zeit und den Grusel.” Und gleich setzte sie ein:”
„Oh wie wohl ist mir am Abend,
”Wenn zur Ruh' die Glocken läuten”
und die Schwestern fielen der Reihe nach ein, bis auf Edith, die vor Lachen gar nicht mitsingen konnte.
„Es ist zu komisch!” rief sie. „Warum nur gerade dies Lied? Die Schlittenglocken haben uns freilich auch zur Ruhe geläutet! Ha, ha! Bimm, bamm! Bimm, bamm!”
„Nun,” meinte Rose, „wenn Dir dies Lied nicht gefällt, so singen wir:”
„Froh zu sein, bedarf man wenig,
Und wer froh ist, der ist König”
und alle lachten, als ob es wirklich ein köstlicher Spaß sei, was ihnen begegnet.”
II.
”Frau von Renz, die Herrin von Rinow, war heute mit ihrem Sohn und ihrem Neffen auf einem benachbarten Landgute zu Besuch gewesen und jetzt im Begriff, heimzufahren. In dem offenen Schlitten, den ihr einziger Sohn Hermann, der Husarenoffizier, lenkte, saß sie selbst neben dem Neffen Adalbert von Renz, Kunsthistoriker und Privatdozent an einer mitteldeutschen Hochschule. Hintenauf aber—; auf der Pritsche —; hatte der Kutscher Wilhelm seinen Platz.
Die Pferde griffen tüchtig aus. Zum Glück wehte der prickelnde Schnee den Schlitteninsassen nicht in's Gesicht, da ließ es sich schon aushalten. Man war gut mit Pelzwerk versehen und hatte bis jetzt kaum noch eine Viertelstunde zu fahren. Gleich mußte die Stelle kommen, wo der Privatweg sich von der großen Landstraße abzweigte.
Plötzlich stutzten die Pferde, knickten mit den Hinterbeinen zusammen und wollten nicht wieder anziehen, obgleich Hermann von Renz sie mit einem leichten Peitschenschlag bereits dazu aufgefordert hatte. Er begriff übrigens den Grund ihres Ungehorsams. Dicht vor ihnen, mitten im Schnee des Weges, lag ein ungeheures schwarzes etwas —; einer Riesenbombe vergleichbar. Was konnte es nur sein?
Der Kutscher lief hin, um sich das rätselhafte Ding anzusehen.
„Es ist ein großer Kutschkasten ohne Räder,” berichtete er zurückkehrend, „aber mit Musik! Hören Sie nur, gnäd'ger Herr, wie es darin summt und brummt. Es wird einem ganz unheimlich dabei. Die Leute haben's immer gesagt: Hier am Rinower Wege spukt es —; nun glaub' ich's auch!”
„Unsinn!” lachte der Husarenoffizier. „Da, Wilhelm, halte einmal die Zügel —; nein, erst hebe mir diese Laterne da aus... So!”
Hermann von Renz schwang sich leicht aus dem Schlitten und näherte sich der Riesenbombe. Der Kutscher hatte Recht, es war wirklich ein musikalischer Wagenkasten. Alle Teufel, wie kam dies Ungeheuer hierher und wie wogte es dadrinnen durcheinander von Gesang und Gelächter. Ha, ha! Wenn es ein Spuk war, so war's ein lustiger, so viel wenigstens stand fest!
Mit wenigen heitern Worten beruhigte Hermann seine besorgt fragende Mutter und ging dann die Laterne in der Hand, rings um den Kutschkasten herum, ihn von allen Seiten beleuchtend.
Der Lichtstrahl fiel durch das kleine runde Guckfensterchen in das Innere des Wagens wie ein verheißungsvoller Hoffnungsstrahl in eine kleinmütige Seele. Der Gesang verstummte urplötzlich.
„Ein Mann mit einer Laterne!” wisperte und flüsterte es fast zugleich von zehn rosigen Lippen. „Hoffentlich ist's der Jochen!” rief Rose und fügte dann laut hinzu: „Machen Sie nur auf, Jochen und lassen Sie uns heraus!”
Hermann von Renz lachte.”
„Ich heiße nicht Jochen,” sagte er, „und heraus lasse ich Sie für's erste auch nicht —; wenigstens nicht alle gleich, denn wenn mich mein Gehör nicht täuschte, so war es mindestens ein Quintett, das ich eben singen hörte... Aufknöpfen will ich schon! Nur ein wenig Geduld, meine Damen! Das alte Leder ist bocksteif —; und meine Finger auch von der Kälte. So! Jetzt endlich! Ah!”
Er schlug das an drei Seiten freigemachte Schutzleder zurück, ergriff die Schlittenlaterne, leuchtete in den Kutschkasten hinein und rief lustig:”
„Gehorsamster Diener, meine verehrten Damen! Was? Sehe ich recht, Philippine Kunkelwitz, Du bist's? Und Deine liebenswürdigen Unglücksgefährtinnen... vermutlich alle vier gleichfalls meine Kousinen. Gesehen haben wir uns bisher wohl kaum. Willst Du mich nicht vorstellen, liebes Pinchen?
Er lachte und alle lachten. Die Situation war wirklich sehr drollig.?
„Vorstellen?” rief Rose, „ist ganz unnötig. Als Sie noch..”?
„Als Du,” bat Hermann, aber vergeblich.”?
„Als Sie noch knöpften,” wiederholte Rose, „ging schon die Parole umher: „Es ist der Vetter aus Rinow!”?
So, so, also man kennt uns doch noch in Klosterfeld? Nun, das ist mir lieb, sehr lieb —; Mama!” rief er dann zwischen seinen beiden an den Mund gelegten Handflächen zum Schlitten hinüber, „in der schwarzen Riesenbombe da vor Dir sitzen Adolf's fünf Töchter, sie haben Schiffbruch gelitten, nicht wahr, wir erbarmen uns ihrer Hilflosigkeit?”?
„Um Himmels Willen!” tönte es vom Schlitten herüber. „Mädchen, wo kommt denn Ihr her? Bei Nacht und Nebel und allein, ganz allein?”
„Wo sie herkommen, das sollen sie uns nachher erzählen, Mütterchen,” rief Hermann, „erst wollen wir die Bombe mal entladen . . . Wilhelm, hierher mit dem Schlitten &mdasH, dicht heran! Siehst Du, die Rappen fürchten sich auch nicht vor dem vermeintlichen Spuk. &mdasH, Vetter Adalbert, bitte, steige aus. Ich werde mir erlauben, Deinen Platz im Schlitten anders zu besetzen. Gestattet mir, verehrte Mühmchen, daß ich Euch meinen Vetter vorstelle: Herr Adalbert von Renz, genannt „Winkelmann der Zweite”.... So, jetzt, umsteigen, wenn's gefällig ist! Eine Kousine kommt neben die Mama zu sitzen, die andere neben mich.”
Diese „andere” war die kleine Rose.
Der Husarenvetter hatte es sehr gewandt so eingerichtet. Sie war ja ganz entzückend, diese junge Kousine, reizend, bezaubernd!
Wie ein richtiges Rosenknöspchen schaute das frische niedliche Mädchengesicht mit den schelmischen blauen „Lichtern” aus seinem schwanbesetzten Kapottenrahmen heraus. Hermann meinte, nie im Leben ein so herziges Bild gesehen zu haben, und wenn sie sprach, wenn sie lachte, klang es ihm so wunderlieblich in die Ohren, daß es ihm ganz warm um's Herz wurde.
Adalbert von Renz, der Kunsthistoriker, hatte inzwischen auf Befehl „Moltke's Nr. II” —; er rächte sich damit für den ihm angethanen „Winkelmann” —; in der „Bombe” Platz genommen. Der Kutschkasten war ja nun einmal so umgetauft worden.
Hermann hatte seinem Vetter vor der Abfahrt die ausgehobene Schlittenlaterne in die Hände gedrückt. Bei ihrem Schein ließen sich nun ganz interessante Forschungen, Feststellungen und Vergleichungen machen.
Von Dreien pflegt unbedingt eine die hübscheste zu sein. Hier vor seinen Augen war es nach Adalbert's Geschmack ohne Zweifel Edith.
Er fand sie ganz bezaubernd und ließ sie auch sofort willenlos ihres Amtes als Zauberin walten.
Wie anmutig und gewandt sie plauderte, wie gut sie zu fragen und zu antworten verstand.
Die Zeit verging ihm wie im Fluge.
Er meinte, der Schlitten sei eben erst nach Rinow davongefahren und da war er schon wieder zurück, bereit, den Rest der Schiffbrüchigen und ihren Chaperon gleichfalls unter Dach und Fach zu bringen.
Unter Lachen und Scherzen wurde nun von allen die Bombe ver&ndah; und ihrem Schicksal überlassen.
Im Abfahren sang ihr Adalbert noch ein volltönendes:
„So leb' denn wohl, Du stilles Haus” zu und dann ging's vorwärts unter Peitschenknall und Glockengeläute.
Das Rinower Schloß leuchtete ihnen schon aus der Entfernung verheißungsvoll entgegen.
In mehrern Gastzimmern brannte Licht, denn die Mägde erfüllten den Auftrag ihrer Herrin, fünf Betten zur Nachtruhe für die Klosterfelder Fräulein herzurichten. „Bei der Kälte lasse ich Euch heute nicht weiter fahren!” erklärte die Hausfrau und in den Wohnräumen wollte man doch noch vor dem Zubettgehen ein Stündchen oder zwei gemütlich beisammen bleiben —; so hatte es Hermann seinem Mütterchen abgeschmeichelt, auch einen heißen Theepunsch bestellt, „zum Auftauen durchaus erforderlich”, wie er sich kategorisch ausdrückte.
„Aber wenn nun der Jochen umkehrt und uns nicht im Kutschkasten findet!” sagte Pinchen. „Oder gar, wenn er ohne uns nach Hause kommt; die Eltern würden ja zum Tode erschrocken sein.”
„Beruhige Dich, liebes Philippinchen!” tröstete sie Hermann. „Ein richtiger Stratege denkt —; womöglich an alles! Den begründeten Einwürfen entgegnet demnach Moltke der zweite, Wilhelm—; unser Kutscher nämlich —; hat den Schweinejungen —; verzeih, aber das ist nun einmal sein offizieller Titel! —; als Rückfracht bis zur Bombe mitgenommen. Der Junge ist instruiert, dem Jochen, wenn er zurückkommt, zu melden, daß Ihr hier in Rinow geborgen seid. Und was die Eltern anbetrifft, so habe ich gleich nach meiner Ankunft von hier aus einen Eilboten mit derselben tröstlichen Kunde nach Klosterfeld abgeschickt. Der See ist zugefroren, also zu Fuß passierbar —; in einer halben Stunde ist der Bote drüben. Sagen wir um zwölf Uhr. Eher könntet Ihr wohl kaum zu Hause sein, wenn alles glatt abgegangen wäre, denn der Weg um den See herum ist bekanntlich drei Mal so weit, als die Luftentfernung zwischen Klosterfeld und Rinow.”
Der Bote aus Rinow erschien denn auch richtig auf dem Klosterfelder Gutshofe, noch ehe der Jochen frische Pferde aufgeschirrt und vor den Schlitten gelegt hatte.
Dem Rittmeister und seiner Frau wurden durch die Nachricht, daß ihre Kinder wohlgeborgen seien, wahre Centnerlasten von den Herzen gewälzt. Aber trotzdem befahl Herr von Kunkelwitz, seine Töchter sollten „auf der Stelle” von Rinow abgeholt werden. Daß er selbst sie abholen wolle, davon sagte er jetzt kein Wörtchen mehr. Aber die Mädels sollten nicht in Rinow übernachten! Absolut nicht! Er sei doch hoffentlich noch Herr im Hause und habe zu befehlen, anstatt zu gehorchen!
„Nun ja doch, ja! Wenn Du es durchaus haben willst,” sagte Frau von Kunkelwitz. „Natürlich wird aber dadurch nur wieder Oel in's Feuer gegossen! Die armen Mädchen! Sie werden tüchtig gefroren haben in dem alten Kutschkasten auf freiem Felde, bei dem abscheulichen Schneesturm und die Angst dazu, was wohl aus der Geschichte werden würde! Ach, ich bin so froh, daß ich sie bei der guten Mathilde Renz sicher geborgen weiß. Wenn es nach mir ginge, ließe ich sie natürlich ruhig dort bis morgen.”
„Na meinetwegen!” knurrte der Rittmeister. „Ihr Frauen macht ja doch aus uns, was Ihr wollt. Aber es ist zum Schlagrühren, daß man so etwas erleben muß, so eine nichtswürdige Spitzbüberei des Zufalls, eine richtige Schicksalskomödie —; um nicht „Tragödie” zu sagen.”
Brummend ging er hinaus in den Stall, trotz des grimmigen Wetters.
„Na, nu laß man gut sein für heut,” sagte er zu Jochen mit gutmütiger Verdrießlichkeit. „Schirr' man wieder ab und leg' Dich auf's Ohr, oller Dööskopp! Gleich morgen früh aber holst Du mir den Kutschkasten wieder'ran. Der Chrischan und der Daniel sollen mit raus fahren. Und dann nehmt auch gehörig Stricke mit und einen Hebebaum, hörst Du? Und nu gute Nacht auch! Ein ander Mal mach's besser.”
;Beim Zubettegehen brummte der Rittmeister noch einmal los:
„Warum es auch gerade an der Stelle sein mußte. Und warum es gerade die Mathilde Renz sein mußte, die sich der Mädels annahm! Konnten nicht lieber die Dobbertiner des Weges kommen oder der alte Götz von Klitschen?”
„Ach geh, Alter,” schalt Frau von Kunkelwitz, „das ist gar nicht hübsch von Dir! Wie kann man nur so unversöhnlich sein, so über's Grab hinaus grollen und brummen! Was war es denn auch für ein großes Verbrechen, das Dein seliger Vetter gegen Dich verübt hat? Er hat Dich geneckt, wie er'e mit aller Welt machte — das lag ihm nun einmal so im Blute; er hat's ja so böse nicht gemeint, davon bin ich überzeugt.”
„So, glaubst Du? Dann hätte er ja schweigen können; er mußte es doch merken, daß ich seine dummen Witze über meine fünf „Kunkel” und über mein „Kloster”, mein Nonnenkloster, durchaus nicht scherzhaft fand. Aber er hat geredet und geredet —; und alle einfältigen Lacher waren natürlich immer auf Seiten des „geistreichen” Herrn von Renz, des Witzigsten aller Witzigen — bis ich's endlich satt bekam und in der Hitze den Schwur that, nie und nimmer wieder etwas von ihm wissen zu wollen.”
„Und darüber ist der Vetter weggestorben!” sagte Frau von Kunkelwitz seufzend. „Sieben, acht Jahre mögen seitdem vergangen sein. Aber von den Rinowern hat sich keiner je wieder bei uns blicken lassen.”
„Weil sie ein bös’ Gewissen haben!”
„Nein, weil sie uns gram sind.”
„Haben keine Ursache dazu! Gerad' umgekehrt ist's. Wir.. . wir. . . ”
„Na, laß nur gut sein, Alter, wir wollen darüber nicht streiten; aber daß die Muhme heute die Mädels mit sich nach Rinow genommen und uns gleich einen Boten zugeschickt hat, das...”;
;„Das dank' ihr... Dieser und Jener!” polterte der Rittmeister heraus. „Und nun laß uns schlafen, Alte. Ich bin hundmüde und Du gewiß auch! Morgen früh holt der Jochen erst den Kutschkasten heim und dann unsere Kinder, damit sie auch gut ausschlafen können und damit Hollah!”;
In Rinow war aber am andern Morgen trotz dieses guten Wunsches „von jenseits des Sees” alles wieder früh auf den Füßen. Frau von Renz hatte den drei „Ministern” versprochen, ihnen gleich nach dem gemeinsamen Frühstück ihre Wirtschaft zu zeigen, die herrlichen neuen Wasch–, Butter– und Krauthack–Maschinen; Hermann aber wollte mit Rose musizieren. Sie sollte singen und er begleiten —; auch Brahms und Schuhmann, wenn sie es wünschte. Er verstand sich ganz gut auf das Tasteninstrument. Sie solle es nur einmal mit ihm versuchen! Auch Adalbert und Edith hatten gestern Abend — oder vielmehr gestern Nacht — eine Verabredung getroffen.;
Der Kunsthistoriker wollte Edith die Illustrationen zu seiner bis zur Druckreife vorgeschrittenen „Geschichte der Baukunst” vorlegen und einiges daraus erklären. Er hatte die ganze Nacht davon geträumt. Von ihr, nur von ihr! Auf diese Weise waren alle beschäftigt und Jochen, der Abholer mit seinem großen dreisitzigen Schlitten, kam viel zu früh.;
„Ich lasse satteln!” rief Hermann. „Nicht wahr, Winkelmann, Du und meine Wenigkeit wir begleiten die Kousinen zu Pferde und liefern sie selbst in die Hände von Onkel und Tante ab.”;
Frau von Renz schüttelte den Kopf.;
„Wenn ich Ench raten darf, so thut Ihr's lieber nicht. Ich kenne den Vetter Kunkelwitz besser, er weiß vermutlich gar nichts von Eurer Anwesenheit in Rinow und ärgert sich über Euer Erscheinen. Schöne Grüße aber sollen die lieben Mädchen von uns dreien bestellen und sagen, wenn die Eltern nichts dawider hätten, so kämen wir wohl morgen am Nachmittag auf ein Plauderstündchen hinüber. Dann hat der Vetter Zeit, sich auf uns vorzubereiten — ich denke, das wird ganz nützlich sein.”;
Und der Besuch wurde nicht nur gemacht, sodern auch erwidert, allerdings, zum weidlichen Verdruß der beiden jungen Vettern, nur von dem Rittmeister, seiner Frau und den beiden ältesten Töchtern.;
Mit „Sieben” könne doch nur der Siebmacher fahren, witzelte Herr von Kunkelwitz, als sei der Geist seines seligen Vetters, des Witzboldes von Rinow, in ihn gefahren, that aber im übrigen ganz unbefangen und freute sich, daß auch die Renze samt und sonders so thaten, als sei niemals etwas wie Spannung oder Entfremdung zwischen ihnen vorhanden gewesen.;
Einige Tage später aber ließ nun Hermann doch satteln und ritt mit dem Vetter Adalbert herüber nach Klosterfeld.;
Es war die höchste Zeit für beide, ihre Abreise stand ja vor der Thür und vorher —; ja, vorher galt es noch ernste, sehr ernste Lebensfragen festzustellen.;
Frau von Kunkelwitz hatte sie auf den Hof reiten sehen, die beiden stattlichen jungen Leute — Edith und Röschen gleichfalls — und in den Herzen dieser drei waren Ahnungen und Empfindungen aufgestiegen, die in gewissem Sinne alle die gleiche Richtung hatten. Auch die schlauen drei Minister wußten ganz genau, was dieser mit einer gewissen Feierlichkeit in Scene gesetzte Vetternbesuch für einen besondern Zweck hatte. Nur der Rittmeister wußte es nicht und wollte es nicht wissen.;
Er freute sich, neben seiner Frau stehend, vom Fenster aus über die Prachtgäule Rinower Zucht, auch über Hermann's vornehme Art im Sattel zu sitzen und die Reitkunst wie ein Kinderspiel zu handhaben. „Auch der Adalbert macht seine Sache nicht schlecht,” sagte er, „Bücherwürmer sind sonst meistens auf Pferderücken nicht zu gebrauchen, sie sind mehr an den Pultesel gewöhnt, der weder steigt noch ausschlägt!”;
Die beiden Renz ließen sich bei dem Herrn Rittmeister, nicht bei der Hausfrau melden.;
Kunkelwitz stutzte, das hatte etwas zu bedeuten.;
„Na, denn man raus, Alte,” sagte er. „Heute wollen die Jungen von Dir nichts wissen.”;
Aber es dauerte gar nicht lange, da hörte man die mächtige Baßstimme des Rittmeisters, der nach seiner Frau rief, durch's ganze Haus schallen.;
Herr von Kunkelwitz war in hochgradiger Erregung. Aus dem dunkelroten Kopf funkelten fast unheimlich die Augen unter den zusammengezogenen Brauen hervor: Die Lippen und die Worte, die über sie hinweg hasteten, bebten in verhaltenem Zorn.;
„Mutter,” sagte er, „sieh Dir diese beiden mal an! Sehen soweit ganz ordentlich und brav aus, aber weißt Du, was sie vorhaben? Uns berauben wollen sie! Das liebste und beste, was wir haben, möchten sie besitzen und scheuen sich nicht, es auszusprechen! In einem wundervollen Duo haben sie geredet, abwechselnd und unisono —die Teufelskerls, die! Ja, ich weiß wahrhaftig nicht mehr, wo mir der Kopf steht, noch was ich sage. Alte, rede Du ihnen die Geschichte aus! Es geht ja nicht.. . es geht wirklich nicht! Wozu hat man denn mit Mühe und Not die Kinder groß gezogen, wenn nachher der erste beste Thunichtgut die Hand nach ihnen ausstrecken und sagen darf: Gebt sie mir, ich will sie haben!”;
Hermann und Adalbert protestierten lebhaft in mühsam aufrecht erhaltenem Scherzton, es war ihnen gar nicht lächerlich zu Mute, gegen die erregten Worte und Ausdrücke des Rittmeisters: Frau von Kunkelwitz aber zog ihren Arm durch den ihres Gatten und sagte beschwichtigend, fast schelmisch:;
„Lieber Alter, bitte, denk' mal siebenundzwanzig Jahre zurück! Damals kamst Du zu meinem Vater auf's Gut geritten und hast ganz ähnliche Worte gesagt und ganz ähnliche Versprechungen gegeben, wie diese beiden jetzt eben Dir. Und welche Antwort hast denn Du damals erhalten?”;
„Ach was!” gab der Rittmeister zurück. „Das war ja eine ganz andere Geschichte. Wir zwei waren einig; ich wußte ganz genau, daß Du in einen gewissen Garde du Corps–Lieutenant bis über die Ohren verliebt warst! Dein Vater konnte ja gar nicht Nein sagen.”;
So? Meinst Du? Na, weißt Du was, Alterchen?” sagte Frau von Kunkelwitz, „ich glaube, es wird das beste sein, wir nehmen einmal alle vier Sünder in's Gebet: die beiden da und dann die Edith und die Rose! Wer weiß, ob sie nicht auch schon einig sind! Nachher kannst Du ja immer noch thun, was Du willst?”;
So geschah es... und genau vier Monte später, im wundervollen Monat Mai, feierte man bei den Kunkelwitz im „Nonnenkloster” eine fröhliche, selige Doppelhochzeit.;
Des Rittmeisters Augen feuchteten sich an jenem Tage immer abwechselnd in Freude und in Kummer.;
Die herzigen Kleinen fortgeben zu sollen war ein herber Schmerz für den zärtlichen Vater, aber doch war es auch köstlich, seine Lieblinge so glückstrahlend zußsehen. Und die beiden lieben Jungen waren ja auch so brav und so gut!;
Hermann hatte seinen Abschied eingereicht und die Zügel der großen Landwirtschaft in Rinow schon selbstständig in die Hand genommen, zur größten Freude der Mutter, der er früher immer versichert hatte, daß er niemals heiraten und deshalb auch Soldat für immer bleiben wolle.;
So blieb doch Rose wenigstens in der Nähe. Wenn der See zugefroren, war es ja nur eine halbe Stunde bis nach Rinow. Und für die Sommerzeiten sollte eine Art von Fähre eingerichtet werden, um den Verkehr mit Klosterfeld auch dann zu erleichtern.;
Der Kunsthistoriker Adalbert von Renz besaß noch einen Bruder, die Eltern waren längst tot.;
Und dieser Bruder, Rechtsanwalt in der Provinzialhauptstadt, seit zwei Jahren Witwer, war gestern der Einladung zur Hochzeit nach Klosterfeld gefolgt.!;
Als die beiden neuvermählten Paare schon mehrere Tage — natürlich ein jedes für sich allein — in der weiten Welt umherreisten, erklärten Bruno von Renz und Philippine von Kunkelwotz den erstaunten Eltern, daß auch sie sich für's Leben gern hätten und daß sie um den elterlichen Segen für ihren Herzensbund bäten!;
„Na,” sagte der Rittmeister darauf, als er mit seiner „Alten” allein war, „das muß ich sagen: wir kommen jetzt in Uebung! Das Sprichwort von der angeknabberten Zuckerdüte bewährt sich wieder einmal! Die Düte von Klosterfeld wurde zwar am falschen Ende angebrochen, aber nun scheint's auch keinen Halt mehr zu geben. Gieb Acht, Alte, jetzt bleiben Minchen und Linchen auch nicht „sitzen” — sie rutschen durch das Loch in der Düte nach, das sollst Du'mal sehen. Aber an drei Renzer habe ich jetzt übergenug! Es muß doch'mal eine Abwechslung geben.”&;
„Du hast's aber doch gut getroffen!” neckte Frau von Kunkelwitz ihren Rittmeister. „Für drei Schwiegersöhne nur einen Namen und gar keinen Kometenschweif von Vettern und Basen. Das ist ein ungeheurer Treffer!”;
„Wenn nun aber alle Kinder fort sein werden,” sagte Herr von Kunkelwitz und guckste und schluckste dabei so seltsam verräterisch, „was in des Kuckuks Namen fangen dann wir beiden Alten miteinander an? Besonders an langen Winterabenden?;
Frau von Kunkelwitz lächelte ihrem „Alten” zu und die Augen wurden ihr feucht. „Dann,” sagte sie, „dann spielen wir Sechsundsechzig, wie damals im Januar, als die alte Riesenbombe vom Kutschkasten mit unsern fünf Kindern in den Schnee rutschte!”;
„Ja — die Riesenbombe! Hermann hat ihr den richtigen Namen gegeben,” lachte Papa Kunkelwitz. „Es war wirklich eine Bombe.” Dann fügte er seufzend hinzu: „sie hat unsern schönen Kreis auseinandergesprengt!”;
„Um neue und so Gott will wiederum glückliche Kreise zu begründen. Das ist ja so der Lauf der Welt. Gott segne unsere Kinder!”
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